PREDIGT ZUR ERÖFFNUNG DER INTERKULTURELLEN WOCHE FFM
LIEBFRAUENKIRCHE 28.09.2008 18.30 Uhr
Der süße Klang der Stimme des Muezzins, vom Minarett der Dorfmoschee, weckt mich sanft aus meinem Schlaf.
Nach einigen Minuten läutet auch die Glocke der Dorfkirche.
Draußen im Hof herrscht schon reges Bewegen.
Morgen ist Ostern, und die Schafe werden zur Schlachtung vorbereitet.
Sie werden im Namen Gottes geschlachtet. Sie symbolisieren das Opfer, das Jesus Christus für uns erbracht hat, unseren Exodus vom Hades und unseren Eingang in das Reich Gottes.
Für das große Fest hat sich die ganze Familie aus allen Ecken der Erde im Heimatdorf meines Vaters versammelt. Wir aus Deutschland, Verwandtschaft aus Australien, aus Amerika, meine Cousinen und Cousins aus Athen, Thessaloniki und Konstantinopel. Insgesamt 48 Personen in einem Haus.
Morgen ist auch Kurban Bayram, das muslimische Opferfest.
Mein Opa hat schon ein Schaf für unseren Nachbar Ugur vorbereitet. Er ist über 80 und kann sich kaum bewegen. Seine Kinder und Enkel sind auch in Deutschland und kommen nicht zum Fest. Für Ugur wird ein Lamm für sein muslimisches Fest geschlachtet, im Namen Allahs.
Mein Onkel wird Ugur später zur Moschee zum Mittagsgebet tragen. Das macht er jeden Tag, denn er hat es Ugurs Kindern versprochen. Das Dorf meines Vaters an der nordöstlichsten Ecke Griechenlands ist ein gemischtes Dorf. Seit Jahrhunderten leben Christen und Muslime in dieser Region friedlich zusammen. Wie oft war unser Dorf inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen. Kriege, die nur Leid und Schmerz hinterließen. Im Dorf kann man Muslime von Christen kaum unterscheiden, denn alle Frauen tragen ein Kopftuch, alle sprechen türkisch und alle atmen dieselbe Luft der gegenseitigen Liebe.
Und dennoch, die einzige Angst die tief in den Herzen aller Dorfbewohner nistet, ist, dass Christen und Muslime nicht untereinander heiraten.
Ich fühl mich fremd im Dorf meines Vaters. Ich spreche nur schwäbisch und gebrochenes griechisch. Ein paar türkische Wörter kommen mir aus dem Mund, die mir meine Freunde Attila und Arzu in Deutschland beigebracht haben.
Gestern in der Kirche hat der Pfarrer noch eine andere, allen fremde Sprache gesprochen, altgriechisch. Ich bin verwirrt.
Ich denke zurück an Deutschland, an mein Dorf im tiefsten Schwabenländle. Seit einigen Jahren leben im Dorf Menschen aus allen Ecken der Welt. Verschiedene Kulturen, Religionen und Sprachen bemühen sich, gemeinsamen den Weg durchs Leben zu finden. Nur eins gibt es im Dorf nicht: Deutsche Katholiken. Wie oft hab ich meine schwäbische Tagesmutter, die mich so liebevoll aufzieht, weinend gesehen, weil ihr Sohn eine amerikanische Katholikin badischer Herkunft heiraten will. Ich vermisse meine Freunde Ralf und Matthias, Juro und Lucio, Carla und Ramona. Ich vermisse den evangelischen Dorfpfarrer und die Kindergottesdienste in der evangelischen Dorfkirche. Ich vermisse die Spätzle und die Fleischküchle.
Ich freu mich auf die Rückkehr. Ich fühl mich schon besser.
Dies ist eine der vielen Geschichten, die Ihnen ein Migrantenkind erzählen kann. Zwei Paradigmata, respektvollen und friedlichen Zusammenlebens.
Das erste Beispiel entspringt einer langverwurzelten Erfahrung des Miteinanderlebens, über Jahrhunderte zusammengewachsen im Osmanischen Reich.
Das zweite Beispiel entspringt einer industriell bedingt zusammengewürfelten Zweckgemeinschaft, die noch auf die eigenen Wunden des letzten Krieges zurückblickt. Einem aus objektiver Sicht harmonischen Miteinander, von den Migrantenkindern jedoch sehr unterschiedlich wahrgenommen.
Wie oft wurden uns die unterschiedlichsten Bezeichnungen angehängt. Gastarbeiter, Ausländer, Deutsche anderer Herkunft, Migranten, Flüchtlinge. Wie oft wurden wir aus allen Seiten mit sinnlosen Vorurteilen bombardiert. „Deutsche sind Alkoholiker“, „Türken und Griechen stinken nach Knoblauch“, „Jugos sind Räuber“, „Italiener sind Mafiosi“. Wobei wir Kinder keinen Unterschied am Spielplatz oder in der Schule gemerkt haben. Doch haben wir uns so oft für unsere Identität geschämt, wir hatten Schuldgefühle, für das was wir waren. Wir lebten wie Schizophrene zwischen zwei Welten. Unsere Eltern, einfache Menschen, die nur die Arbeit im Kopf hatten, konnten uns nicht helfen. Sie haben uns in die Welt geschickt mit einem Hausschlüssel um den Hals. Der Staat, überfordert ob der multikulturellen Realität, war auf die Herausforderung nicht vorbereitet, vielleicht wollte er das auch nicht sein.
Ja wir waren, wir sind und wir werden noch lange anders bleiben.
Plötzlich sind alle aufgewacht. Das Spiel mit dem bösen und den guten Ausländer hat angefangen. Misstrauen ist gewachsen. Vorurteile haben eine andere Qualität bekommen. Hass wird gesät. Und immer mehr kommt die Religion ins Spiel. Der Staat hat erkannt, dass Parallelgesellschaften existierten. Das Kopftuch ist politisches Thema geworden und ich fühle mich oft nach dem 11. September aufgrund meines Aussehens diskriminiert. Alle sprechen von Integration, wobei jeder von uns eine andere Vorstellung von Integration hat, die er durchzusetzen versucht.
Liebe Brüder und Schwestern, wir alle sehnen uns nach Liebe, Zuneigung, Geborgenheit, Frieden. Leider ist es in der postmodernen, westlichen Gesellschaft sehr schwierig, diese Sehnsüchte zu befriedigen.
Der Mensch wird von seinen Wurzeln, seiner Heimat, seinem Haus, der Familie, den gesellschaftlichen Bindungen getrennt und an eine imaginäre, durch die Medien unaufhaltsame, rege Bewegung in der Zeit gebunden. Sogar die Ziele, die er setzt, sind sich bewegende Ziele. Man siehe allein das Tempo, mit dem Prioritäten im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben geändert werden.
Der Mensch wird gelenkt und er bedient sich immer mehr vorgefertigten Zielen. Er wird gesteuert.
Liebe Brüder und Schwestern, Begriffe wie Nation, Nationalismus, Rassismus, Angst, Fundamentalismus, zeugen vom gefallenen Adam. Aber: Gott ist Mensch geworden aus Liebe, um den gefallenen Adam aufzurichten, um sich in Seiner unaussprechlichen Liebe mit Ihm zu vereinen. Gott ist Mensch geworden um in Gemeinschaft mit seinem Geschöpf zu bleiben. Das ist das Ziel jedes Individuums: die Gemeinschaft zu Gott.
Auftrag der Kirche, die in der Vorbereitung dieser eschatologischen Gemeinschaft in der Geschichte der Menschheit ihren Sinn findet, ist die Vereinigung aller Völker durch die Beseitigung aller Ungerechtigkeit.
Babel und Pfingsten sind dabei unsere Beispiele für Verwirrung und Einheit.
Leben wir in unseren Kirchen im Geist Babels oder weht der Geist von Pfingsten? Jeder von uns Christen scheint zu glauben, dass er alleine oder nur seine eigene Kirche das Erlösungswerk bewirkt. Wir vergessen dabei das Wort des Apostel Paulus „ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, aber Gott hat es wachsen lassen“ (1.Kor. 3,6). In der ökumenischen Bewegung erleben wir eine Ghettoisierung. Jede Kirche hat ihre eigene Kultur, ihre Codes, ihre Traditionen und Dogmen, die absolut und unbiegsam erscheinen. Wir teilen in jedem theologischen Dialog ein Haar in drei Teile, haben aber wenig Lust uns wirklich kennenzulernen. Wir arbeiten ökumenisch im Glauben, dass unsere Kirche, unser Ghetto, die absolute Wahrheit vertritt und den rechten Weg geht. Wir haben wenig Verständnis für das anders sein.
Dabei ist jedoch gerade dieses anders sein das wichtigste Element für ein friedliches Zusammenleben. Dieses anders sein macht uns, jeden von uns zu etwas besonderem.
Die Ghettoisierung geht dabei weiter und trennt sogar Mitglieder derselben Kirche. Kämpfe in den eigenen Reihen zwischen guten und schlechten Christen, gerechten und ungerechten, starken und schwachen, liberalen und konservativen, Traditionalisten und Erneuerern, Erleuchteten und Blinden. Letztendlich ist das Bild, das wir Christen nach Außen geben, ein Bild der Verwirrung und das eigentliche Ziel, gemeinsam Zeugnis für Christus abzulegen ist oft verfehlt. Wir reden viel, über vieles, aber woher sind wir sicher, dass wir DAS WORT und nicht nur einfache Wörter verkünden? Das Kriterium ist, ob unser Wort durchdrungen vom Leben ist und mit Werken der Liebe befruchtet wird.
Die Kirche- und ich sage bewusst nicht die KirchEN- ist berufen zu handeln, sich mit der neuen Realität, in der sich unsere Gesellschaft befindet, auseinanderzusetzen, um ihr wieder das ewige Wort Gottes einzufleischen.
Dieses Werk kann nur mit Leid, Schmerz, Hingabe, wirkliches Interesse und opferbereite Liebe für den modernen Menschen bewirkt werden. Alles was kein Resultat tiefer Agonia, Schmerzes, Opfers und gekreuzigter wahrer Liebe ist, ist den heutigen Gegebenheiten nicht gewachsen.
Als Christen leben wir in der Begegnung mit dem Auferstandenen.
Kein Mensch kann aber dem Auferstandenen begegnen, wenn er nicht zuerst dem Menschen selbst begegnet. Nächstenliebe ist erforderlich in der Begegnung mit Gott. „Niemand hat Gott je gesehen, aber wenn wir einander lieben, lebt Gott in uns. Dann hat seine Liebe bei uns ihr Ziel erreicht.
Gott ist Liebe. Wer in der Liebe lebt, der lebt in Gott, und Gott lebt in ihm. Die Liebe kennt keine Angst. Wenn einer behauptet: Ich liebe Gott, und dabei seinen Bruder hasst, dann lügt er. Christus gab uns dieses Gebot: Wer Gott liebt, der muss auch seinen Bruder lieben.“ (1.Joh. 4,12,16,18,20,21) „Ihr sollt einander lieben“ (Joh. 15,17). Jeder der Gott liebt, kann nicht ohne die grenzenlose Liebe zum Nächsten leben. Es ist eine Liebe über das eigene Ego. Jeder, der an der göttlichen Liebe teilhaben möchte, muss Liebe mit dem Nächsten teilen. Je mehr wir uns näher kommen, desto mehr kommen wir Gott näher. Der heilige Dorotheos nennt uns folgendes Beispiel.
„Stell Dir einen Kreis vor. Der Kreis stellt die Welt dar und das Zentrum des Kreises ist Gott.
Eine Zahl von Linien geht von der Peripherie zum Zentrum.
Die Linien sind die Lebenswege, die die Menschen gehen.
In ihrem Wunsch, Gott näher zu kommen, zielen sie auf das Zentrum.
Je mehr sie gehen, umso mehr nähern sie sich einander. Je näher sie Gott kommen, kommen sie näher zum Menschen. Dieses ist die Natur der Liebe: Je mehr wir uns vereinen, umso größer ist unsere Einigung zu Gott“.
Wir haben Jesus Christus soeben gehört: Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben. Wer in mir lebt, so wie ich in ihm, der bringt reiche Frucht.
Er ist das Sein und wir sollen uns beweisen, reiche Frucht bringen, um in ihm zu leben. Frucht der Liebe sollen wir bringen. In der orthodoxen Kirche beten wir in jedem Gottesdienst für die, welche Früchte bringen. Opfergaben der Nächstenliebe. Und wer ist mein Nächster? Wo soll ich ihn suchen? Such ihn im eigenen Haus zuerst. Unsere Nächsten sind nicht nur die Obdachlosen, die um unser Erbarmen bitten, sondern unsere Eltern, Gatten, Partner, Kinder, Nachbarn, die nach Liebe rufen. Liebe in Worten und Taten. Wir sind Teile einer pluralistischen Gesellschaft und oft vergessen wir den unschätzbaren Wert der nächsten Person.
Damit möchte ich sagen, dass die Person, das Individuum, nicht als selbst bestimmendes oder selbst denkendes Objekt definiert wird, sondern als eine Identität, die aus einer B e z i e h u n g zu e i n e r a n d e r e n P e r s o n , aus einer Beziehung zu seiner Umwelt entspringt.
Vorbild der Person ist dabei Gott selbst. Charakteristikum Gottes ist seine Ekstasis. Gott als Liebe, als Eros, geht aus sich selbst heraus, und in einem Akt der Liebe verwirklicht er eine Beziehung zur Person, zum Menschen, die letzterem erlaubt, in Freiheit zu sein, ihm erlaubt, anders zu sein.
Die Liebe Gottes basiert auf den einzigartigen Wert einer jeden Person, und den Respekt seiner Freiheit.
In der Gesellschaft wird meistens Freiheit als die Fähigkeit des Individuums definiert, selbst bestimmend eigene Grenzen zu setzen.
Im christlichen Glauben jedoch, erlebt die Person die Freiheit als Fähigkeit, aus sich selbst heraus zu kommen, in Communio mit dem Anderen zu treten und damit das eigene Ich, seine eigene Verschiedenheit, durch die Communio, durch die Beziehung zu einer anderen Person zu entdecken.
Durch eine Beziehung zum anderen, die das Anders- und Verschiedensein respektiert, wird man als Person bestätigt, wird man als als Person respektiert. Der Hl. Maximus der Confessor betont: Teilung, Trennung und Verschiedenheit sind unterschiedlich. Verschiedenheit ist heilig, Teilung nicht. In einer Gemeinschaft von Personen, kann nicht das „olon“, das Ganze, vor einer Person kommen, auch kann nicht die Person ohne das Ganze leben. Die Gemeinschaft bildet eine Einheit, die durch eine freie Beziehung der Personen, nicht nur die Verschiedenheit respektiert, sondern auch die absolute Einzigkeit einer jeden Person betont.
Liebe kann ohne Freiheit und Freiheit kann ohne Liebe nicht existieren. Die Liebe Gottes zum Menschen ist eine freie, eine autonome Liebe, ohne Zwang und Ausgrenzung. Wenn Gott uns alle in Freiheit liebt und uns aufgetragen hat einander zu lieben, wieso befolgen wir das nicht? Wenn Gott uns an seiner göttliche Liebe, trotz unserer Verschiedenheit, teilhaben lässt, wieso lassen wir unseren Mitmenschen, unseren Nächsten, unseren Mitbürger nicht Teil unserer Gemeinschaft werden?
Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns gemeinsam Zeugnisse der Liebe ablegen. Lasst uns im gegenseitigen Respekt und in Frieden den Auferstandenen begegnen. Lasst uns unsere Vision für eine friedliche Welt, die einheitlich und gleichzeitig verschieden sein kann, nicht von den Augen verlieren. Die Welt kann sich zum Guten verändern. In einem Lied mit dem Namen „Kemal“ sagt Dichter Chatzidakis voller Schmerz „Gute Nacht Kemal! Die Zeiten haben sich nicht geändert. Mit Feuer und Schwert immer geht die Welt“.
Ich denke, jeder von uns wird aufgerufen, entweder dort einen Punkt zu setzen, oder weiter zu gehen. „ Guten Morgen Kemal! Eine Welt die sich nicht verändern kann, ist eine Welt die nicht mal der Beweinung Wert ist!
Christos Anesti! Christus ist auferstanden!“